Am 19. Juni 1949 eingeweiht, gehörte die Evangelische Gnadenkirche zwar zu den sogenannten "Notkirchen", ist aber bis heute alles andere als eine "Notlösung". Im Gegenteil - mit ihrer Entstehungsgeschichte und Architektur prägt sie bis heute das Selbstverständnis der Gemeinde. Das Konzept des Architekten Otto Bartning, längst unter Denkmalschutz stehend, schafft den besonderen Charakter der Gnadenkirche: ein familiärer Kirchenraum, dessen Holzkonstruktion Wärme ausstrahlt, der sich schlicht und bodenständig gibt und dennoch viel Raum für Spiritualität und Andacht bietet. In diesem Sinne wollen wir offen für die Menschen und den Stadtteil sein, Nähe und Zugehörigkeit schaffen und den christlichen Glauben in das tägliche Leben der Gemeindemitglieder tragen.
Die Gnadenkirche erkunden:
Interaktive 360°-Rundgang mit Infovideos
Die Gnadenkirche als Bartning-Kirche:
Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege Baden-Württemberg
Bd. 34, Nr. 4 (2005), S. 201-213
Otto-Bartning-Arbeitsgemeinschaft Kirchenbau e.V.
Wikipedia:
Ev. Gnadenkirche Mannheim
Möchten Sie mehr über die Entstehungsgeschichte der Gnadenkirche wissen? Dann lassen Sie sich auf eine kleine Zeitreise mitnehmen...
Der 19. Juni 1949 war ein wichtiger Tag für die Protestanten in der Mannheimer Gartenstadt. Endlich wurde ihre Kirche eingeweiht. Von nun an konnten hier im Stadtteil, wenn auch damals noch eher am Rande, die Kirchwaldsiedlung gab es noch nicht, Gottesdienste gefeiert werden. Es gab nun auch in der Gartenstadt einen Ort für Taufe, Konfirmation und Hochzeit. Bis dahin gehörten die evangelischen Gartenstädter zur Paulusgemeinde auf dem Waldhof. Doch hier herrschte seit dem Zweiten Weltkrieg Raumnot. Die Kirche war zerstört, Gottesdienste wurden in einer Holzbaracke gefeiert. Pläne für eine evangelische Kirche in der Gartenstadt hatte es schon vor dem Krieg gegeben, doch zum Bau war es nie gekommen. Immerhin: Das Pfarrhaus war schon errichtet.
Dass es nach dem Krieg relativ schnell zu einem Neubau an der Ecke Waldpforte/Karlsternstraße kam, kann als Gnade empfunden werden – was Jahre später auch durch die Namensgebung ausgedrückt wurde. Zunächst sprach man nur von einer Notkirche. Die Evangelische Kirche in Deutschland hatte – mit Unterstützung des Weltkirchenrats in Genf – ein Notkirchenprogramm aufgelegt, um Ersatz für zerstörte Gotteshäuser zu schaffen. Der Kirchenarchitekt Otto Bartning hatte dem ökumenischen Gremium einen Entwurf vorgeschlagen, mit dem kostengünstig Kirchen gebaut werden konnten. Bartnings Entwurf bestand aus einer tragenden Holzkonstruktion, die in Serie gefertigt und an den jeweiligen Standort verbracht werden sollte. Diese Holzkonstruktion, auf dem Foto vom Richtfest 1948 ist sie gut zu erkennen, wurde im Ausland gefertigt und mit Fenstern, Türen, Empore, Gestühl und Installationen geliefert. Vor Ort wurden dann – mit tatkräftiger Eigenleistung – die Wände dieser Konstruktion mit Trümmersteinen aufgefüllt und das Gebäude fertiggestellt. Eine Kirche nach dem Baukastenprinzip, angepasst an die jeweiligen Gegebenheiten. Mit finanzieller Hilfe von Christen aus den USA konnte das Projekt verwirklicht werden: Sie spendeten Geld für 40 solcher Notkirchen in Deutschland, 40 mal 10.000 Dollar. Im Internet findet sich bei Wikipedia ein Artikel über die Bartning-Notkirchen und eine Liste samt Fotos der Gebäude in ganz Deutschland.
Eine dieser 40 Notkirchen sollte die der Gartenstädter Protestanten werden. Auch weil man es hier für dringend angebracht hielt. Die Mannheimer Bezirksstelle des Hilfswerks der Deutschen Evangelischen Kirche begründete den Wunsch nach einer Notkirche in der Gartenstadt wie folgt: Bei der Gartenstadt handele es sich um eine großangelegte Siedlung, „die sehr unter kirchenfremder, um nicht zu sagen kirchenfeindlicher Propaganda steht. Damit verbunden weist dieses Gebiet auch eine verhältnismäßig große Jugendgefährdung auf, sodass uns die Ermöglichung verstärkter kirchlicher Arbeit sehr am Herzen liegt.“ Die Jugend sei stark gefährdet, kirchliche Arbeit dringend nötig.
Im Herbst 1947 wurde mit den Arbeiten am Fundament begonnen. Doch sie gingen nur schleppend voran, weil es an Material fehlte. Im April 1948 wurde die Ausfuhr der Holzkonstruktion aus der Schweiz genehmigt. Als Baumaterial für die Außenwände, die großteils in Eigenleistung errichtet wurden, dienten rote Sandsteinquader und Trümmerbacksteine von Mannheimer Kirchen und Gemeindehäusern..
Im September 1948 dann konnte Richtfest gefeiert werden. Hierzu waren Vertreter der Kirchenregierung, des Hilfswerks der Evangelischen Kirche, ein Vertreter des Weltkirchenrats und auch Architekt Bartning in die Gartenstadt gekommen. Beim Richtfest wurde auch der Grundstein verlegt (Bild rechts). In ihn wurde, so berichtet es damals der Mannheimer Morgen, eine verlötete Metallkassette eingemauert. Darin enthalten: die Bauurkunde, eine von der amerikanischen Bibelgesellschaft geschenkte Bibel, Reden über das Vaterunser, einige Nummern des Evangelischen Sonntagsblattes für Baden, ein Programm der Feier und Schriften zum 100-jährigen Bestehen der Inneren Mission.
Einweihung (das Foto zeigt den Festzug von der Pauluskirche in die Gartenstadt) konnte, wie schon erwähnt, am 19. Juni 1949 gefeiert werden. In der Einladung zum 25-jährigen Bestehen der Kirche im Jahr 1974 zitiert Pfarrer Weber Probst Högsbro aus Kopenhagen, der als Vertreter des Weltkirchenrats zur Einweihung gekommen war. Er sagte am Tag der Einweihung: „Eine Notkirche dürfen wir heute einweihen. Notkirche heißt sie nicht, weil sie von Not zeugt: nein, dieses Haus zeugt in seiner ganzen Gestaltung von Einheit, Schlichtheit, Schönheit. Aber Notkirche heißt sie doch, weil sie aus einer Zeit der Not entstanden ist. Und unsere größte Not ist die, dass wir nicht als Brüder miteinander leben können, dass wir einander das Leben so schwer machen und verderben. An dieser Stätte will Gott uns in Seinem Wort und Sakrament nahe sein, der reich ist an Gnade, der unsere Schuld vergibt und uns aus aller Not erlöst.“ Und Weber ergänzte mit Worten, die heute vielleicht noch mehr Gültigkeit haben denn je. Er schrieb 1974: „Die äußere Not ist bei uns wenigstens weithin behoben, die innere seelische Not ist umso größer geworden. Brauchen wir darum nicht umso nötiger solche eine Notkirche?“
Die Kirche war fertig, wenn auch noch ohne hohen Turm, Glocken und Orgel. Das Fest begann mit einem Abschiedsgottesdienst in der Pauluskirche. Dann zog die Gemeinde in einer feierlichen Prozession vom Speckweg zur Karlsternstraße, begleitet vom Posaunen- und Kirchenchor. Der Kirchenchor der Gnadenkirche gründete sich übrigens kurz nach der Einweihung: am 9. Juli 1949.
1954 erhält die Kirche den hohen Glockenturm und damit ihre endgültige Gestalt, die des Typs B mit angemauertem Altarraum. Bartnings Entwurf hatte mehrere Varianten. Die Glocken kommen 1955 hinzu. Das Bild zeigt Pfarrer Wilhelm Weber bei der Glockenweihe.
Einen Überblick über die weitere Geschichte der Gnadengemeinde finden Sie in der Gemeindechronik.